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Leseprobe

Roman "Nachkriegswelpen"

 Für meine Eva würde ich durchs Feuer gehen.

Sie hielt mir die Ohren zu, als die Schreie der Wendts vom Friedhof durch die Gassen hallten. Das war in der Nacht vor der Beerdigung ihres Sohnes. Ganz Penzlin stöhnte davon. Manch unentschlossener und ängstlicher Penzliner gab sich da noch einen Ruck, an der Trauerfeier am nächsten Tag teilzunehmen. Ruth, das darfst du nicht wissen, flüsterte Eva. Du musst das schnell wieder vergessen, du bist noch zu klein. Als ob ich nicht hörte, wie die Eltern in der Küche redeten und um Fassung rangen und dass Mama plötzlich auch in ein verzweifeltes Geschrei ausbrach, wobei Papa ihr seinerseits den Mund zuhielt. Die Kinder, Anna, schone die Kinder!

Die Wendts hatten ihren Jungen als Leiche aus dem Zuchthaus geholt. Das war ein starkes Stück, wie die Wendts das überhaupt mit einem geborgten Lastwagen fertiggebracht hatten. Nachher haben die im fernen Gefängnis Untermaßfeld auch nie wieder eine Leiche freigelassen, sondern alle klammheimlich verscharrt. Vater und Mutter Wendt brachen die versiegelte Kiste auf dem Kirchhof mit dem Spaten auf, weil sie ihren geliebten Jungen noch einmal sehen mussten. Sie mussten es einfach! Gegen das strengste Verbot. Es war schrecklich für sie, sagen die Leute, und geradezu eine Folter für die Eltern der anderen sechs Schüler aus Penzlin, die immer noch in Untermaßfeld oder Bautzen einsaßen. Den Adolf Jenewsky und Willi Kodera hatten die Russen in Güstrow gleich 1946 an die Wand gestellt und erschossen. Das war nun vier Jahre her.

Meine Mama hielt es in der Küche nicht länger aus. Sie riss sich von Papa los, der sie am Hauseingang noch einmal festhalten wollte, der selbst bitterlich weinte und dort in sich zusammensackte. Wie die anderen Mütter rannte Mama zum Friedhof. Da gab es kein Innehalten und es wurde auch nicht mehr still bis zum Morgen, weil die Mütter vor Angst und Grauen über die Gräber nach ihren verlorenen Söhnen schrien und wie Wölfe den Mond anheulten. Eva holte mich zu sich ins Bett und nahm mich noch einmal wie ihre Püppi in ihre Arme. Da war ich schon fast acht.

Entschuldige Till, aber ich bin nah am Wasser gebaut. Ja, das sind Tränen. Lass uns mal rasch im See abtauchen. Dann erzähle ich weiter.